Organisierte und Rituelle Gewalt in Deutschland – die psychotherapeutische Behandlung von Betroffenen

Abstract

Hintergrund: Seit vielen Jahren nehmen Betroffene von Organisierter und Ritueller Gewalt (ORG) psychotherapeutische Angebote der Regelversorgung in Anspruch. Oft gilt die Behandlung durch anhaltende Gewalterfahrungen und die Komplexität der Traumafolgestörungen als schwer. Empirisch ist bisher wenig darüber bekannt, welche Therapiemethoden und -interventionen angewandt und von Betroffenen / Psychotherapeut*innen als wirksam erachtet werden. Ungeklärt ist auch, wie spezifisch die Behandlungsansätze und das Wissen von Psychotherapeut*innen hinsichtlich ORG sein sollten und in welcher Form bestehende therapeutische Konzepte angepasst werden.
Methodik: Im Rahmen eines Forschungsprojekts, das die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs (UKASK) förderte, wurden Betroffene von ORG und psychosoziale Fachpersonen, die Klient*innen mit ORG-Erfahrungen begleitet haben, anonym befragt. Insgesamt haben innerhalb von zwei Online-Befragungen jeweils 158 Betroffene von ihren eigenen Psychotherapien berichtet, und 98 Psychotherapeut*innen / Psycholog*innen machten Angaben zu erfolgten Therapien von Klient*innen mit ORG-Erfahrungen.
Ergebnisse: In der Behandlung der Folgen von ORG haben Psychotherapeut*innen / Psycholog*innen manualisierte, evidenzbasierte Psychotherapiemethoden wie Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) und Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) für weniger wirksam erachtet und seltener angewandt als andere Interventionsformen. Im Vergleich zu den psychotherapieerfahrenen Betroffenen der Studie schätzten Behandler*innen den Nutzen manualisierter Methoden jedoch positiver ein. Beide Gruppen bewerteten besonders die Arbeit mit dissoziativen Persönlichkeitsanteilen und traumaspezifischen Stabilisierungsübungen als hilfreich.
Schlussfolgerung: Für die Behandlung von Betroffenen mit ORG-Erfahrungen wird eine Weiterentwicklung etablierter Therapiemethoden für notwendig erachtet. Spezifisches Wissen zu ORG sollte dabei in bestehende Behandlungsstandards für schwere dissoziative Störungen / dissoziative Identitätsstörung integriert werden. Die sorgsame Evaluation solcher Psychotherapien und der Einbezug von Betroffenen – im Sinne partizipativer Forschung – sind dringend erforderlich.

Bibliographical data

Original languageGerman
ISSN1863-7167
DOIs
Publication statusPublished - 2022