Konsens als Merkmal paraphiler Störungen

Abstract

Die Arbeit untersucht, wie während des Transformationsprozesses der Geschlechterordnung zeitgleich die Vorstellungen von dem, was bis vor kurzem als pervers galt, einerseits aus der Pathologie-Sphäre gelöst und für die Konstruktion der Pathologie andererseits die Verletzung der Konsensmoral sowie eine mangelnde Fähigkeit zur Selbstkontrolle zentral werden – und zwar vor allem in Hinblick auf Männer. In den ICD-11-Leitlinien für die paraphilen Störungen und die sexuell zwanghafte Verhaltensstörung geht es nicht mehr vorrangig um qualitative oder quantitative Abweichung von der Norm, sondern um das Nicht-Erreichen-Können von Verhandeln bis zum Konsens und mangelhafte Selbstkontrolle. Praktiker in Feldstudien können anhand dieser Merkmale durchaus verlässlich paraphile Störungen einordnen. Die Konzentration auf Konsens und Selbstkontrolle verleugnet allerdings zweierlei: erstens die zentrale Bedeutung der Sexualität selbst und zweitens die von Männlichkeit und Weiblichkeit. Dem Konzept des »limit consent« von Saketopoulou wird der Wiederholungszwang als pathologisches Merkmal paraphiler Störungen gegenübergestellt. Bisher nicht ausreichend untersucht ist die Frage, ob paraphile und sexuell zwanghafte Störungen für Männer und Frauen vergleichbar konstruiert werden können.

Bibliographical data

Original languageGerman
ISSN0033-2623
DOIs
Publication statusPublished - 01.04.2020