Das letzte Mittel? Ein Überblick über die politische Diskussion und den Forschungsstand zum Einsatz medikamentöser Zwangsbehandlung in der Psychiatrie

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Das letzte Mittel? Ein Überblick über die politische Diskussion und den Forschungsstand zum Einsatz medikamentöser Zwangsbehandlung in der Psychiatrie. / Lincoln, Tania M; Heumann, Kolja; Teichert, Maria.

in: VERHALTENSTHERAPIE, Jahrgang 24, 2014, S. 22-32.

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title = "Das letzte Mittel? Ein {\"U}berblick {\"u}ber die politische Diskussion und den Forschungsstand zum Einsatz medikament{\"o}ser Zwangsbehandlung in der Psychiatrie",
abstract = "Die Diskussion {\"u}ber den Einsatz medikament{\"o}ser Zwangs- behandlung ist durch ver{\"a}nderte Rechtsgrundlagen neu ent- facht. Der folgende Beitrag f{\"u}hrt in die Aspekte der rechtli- chen Grundlagen ein, gibt Kernpositionen der laufenden po- litischen Diskussion wieder und geht anschlie{\ss}end anhand empirischer Untersuchungen den Fragen nach, wie h{\"a}ufig medikament{\"o}se Zwangsbehandlungen zum Einsatz kommen, wie sie von den Betroffenen erlebt und bewertet werden und ob sie nachweislich effektiv sind. Aus epidemiologischen Studien wird ersichtlich, dass die H{\"a}ufigkeit von Zwangsme- dikation innerhalb Deutschlands und international erheblich variiert. Qualitative Daten in verschiedenen Kontexten weisen darauf hin, dass Zwangsmedikation bei vielen Betroffenen mit Angst, {\"A}rger, Scham und Hilflosigkeit einhergeht und traumatisierend sein kann. Retrospektive Untersuchungen zeigen, dass Zwangsmedikation von etwa der H{\"a}lfte der Be- troffenen im Nachhinein als richtig bewertet wird. Belastbare empirische Belege f{\"u}r eine unmittelbare oder l{\"a}ngerfristige Wirkung von Zwangsmedikation im Hinblick auf Aggressivi- t{\"a}t, Erregung und Symptomatik fehlen. Aus empirischer Sicht erscheinen Zwangsbehandlungen demnach eher nicht ge- rechtfertigt, wobei belastbare Studien aus ethischen Gr{\"u}nden auch schwer zu erbringen sind. Aufgrund der ausgepr{\"a}gten Schwankungen in der Pr{\"a}valenz ist ferner fraglich, ob der Spielraum, auf Zwang zu verzichten und mildere Mittel an- zuwenden bislang bereits in allen Kliniken hinreichend aus- gesch{\"o}pft wurde. Vielversprechende Ansatzpunkte f{\"u}r die Vermeidung von Zwangsbehandlungen liegen in einer st{\"a}rker aufsuchenden Behandlung, dem systematischen Einsatz mil- derer Mittel in Krisensituationen, Behandlungsvereinbarun- gen und der Weiterentwicklung von psychotherapeutischen Behandlungsalternativen. Das Potenzial solcher Alternativen sollte st{\"a}rker genutzt und erforscht werden.",
keywords = "Zwangsbehandlung · Zwangsmedikation · Menschenrechte · UN-Behindertenrechtskonvention · Schizophrenie · Psychiatrische Versorgung, Compulsory treatment · Forced medication · Human rights · UN Convention on the Rights of Persons with Disabilities · Schizophrenia · Psychiatric care",
author = "Lincoln, {Tania M} and Kolja Heumann and Maria Teichert",
year = "2014",
doi = "10.1159/000357649",
language = "Deutsch",
volume = "24",
pages = "22--32",
journal = "VERHALTENSTHERAPIE",
issn = "1016-6262",
publisher = "S. Karger AG",

}

RIS

TY - JOUR

T1 - Das letzte Mittel? Ein Überblick über die politische Diskussion und den Forschungsstand zum Einsatz medikamentöser Zwangsbehandlung in der Psychiatrie

AU - Lincoln, Tania M

AU - Heumann, Kolja

AU - Teichert, Maria

PY - 2014

Y1 - 2014

N2 - Die Diskussion über den Einsatz medikamentöser Zwangs- behandlung ist durch veränderte Rechtsgrundlagen neu ent- facht. Der folgende Beitrag führt in die Aspekte der rechtli- chen Grundlagen ein, gibt Kernpositionen der laufenden po- litischen Diskussion wieder und geht anschließend anhand empirischer Untersuchungen den Fragen nach, wie häufig medikamentöse Zwangsbehandlungen zum Einsatz kommen, wie sie von den Betroffenen erlebt und bewertet werden und ob sie nachweislich effektiv sind. Aus epidemiologischen Studien wird ersichtlich, dass die Häufigkeit von Zwangsme- dikation innerhalb Deutschlands und international erheblich variiert. Qualitative Daten in verschiedenen Kontexten weisen darauf hin, dass Zwangsmedikation bei vielen Betroffenen mit Angst, Ärger, Scham und Hilflosigkeit einhergeht und traumatisierend sein kann. Retrospektive Untersuchungen zeigen, dass Zwangsmedikation von etwa der Hälfte der Be- troffenen im Nachhinein als richtig bewertet wird. Belastbare empirische Belege für eine unmittelbare oder längerfristige Wirkung von Zwangsmedikation im Hinblick auf Aggressivi- tät, Erregung und Symptomatik fehlen. Aus empirischer Sicht erscheinen Zwangsbehandlungen demnach eher nicht ge- rechtfertigt, wobei belastbare Studien aus ethischen Gründen auch schwer zu erbringen sind. Aufgrund der ausgeprägten Schwankungen in der Prävalenz ist ferner fraglich, ob der Spielraum, auf Zwang zu verzichten und mildere Mittel an- zuwenden bislang bereits in allen Kliniken hinreichend aus- geschöpft wurde. Vielversprechende Ansatzpunkte für die Vermeidung von Zwangsbehandlungen liegen in einer stärker aufsuchenden Behandlung, dem systematischen Einsatz mil- derer Mittel in Krisensituationen, Behandlungsvereinbarun- gen und der Weiterentwicklung von psychotherapeutischen Behandlungsalternativen. Das Potenzial solcher Alternativen sollte stärker genutzt und erforscht werden.

AB - Die Diskussion über den Einsatz medikamentöser Zwangs- behandlung ist durch veränderte Rechtsgrundlagen neu ent- facht. Der folgende Beitrag führt in die Aspekte der rechtli- chen Grundlagen ein, gibt Kernpositionen der laufenden po- litischen Diskussion wieder und geht anschließend anhand empirischer Untersuchungen den Fragen nach, wie häufig medikamentöse Zwangsbehandlungen zum Einsatz kommen, wie sie von den Betroffenen erlebt und bewertet werden und ob sie nachweislich effektiv sind. Aus epidemiologischen Studien wird ersichtlich, dass die Häufigkeit von Zwangsme- dikation innerhalb Deutschlands und international erheblich variiert. Qualitative Daten in verschiedenen Kontexten weisen darauf hin, dass Zwangsmedikation bei vielen Betroffenen mit Angst, Ärger, Scham und Hilflosigkeit einhergeht und traumatisierend sein kann. Retrospektive Untersuchungen zeigen, dass Zwangsmedikation von etwa der Hälfte der Be- troffenen im Nachhinein als richtig bewertet wird. Belastbare empirische Belege für eine unmittelbare oder längerfristige Wirkung von Zwangsmedikation im Hinblick auf Aggressivi- tät, Erregung und Symptomatik fehlen. Aus empirischer Sicht erscheinen Zwangsbehandlungen demnach eher nicht ge- rechtfertigt, wobei belastbare Studien aus ethischen Gründen auch schwer zu erbringen sind. Aufgrund der ausgeprägten Schwankungen in der Prävalenz ist ferner fraglich, ob der Spielraum, auf Zwang zu verzichten und mildere Mittel an- zuwenden bislang bereits in allen Kliniken hinreichend aus- geschöpft wurde. Vielversprechende Ansatzpunkte für die Vermeidung von Zwangsbehandlungen liegen in einer stärker aufsuchenden Behandlung, dem systematischen Einsatz mil- derer Mittel in Krisensituationen, Behandlungsvereinbarun- gen und der Weiterentwicklung von psychotherapeutischen Behandlungsalternativen. Das Potenzial solcher Alternativen sollte stärker genutzt und erforscht werden.

KW - Zwangsbehandlung · Zwangsmedikation · Menschenrechte · UN-Behindertenrechtskonvention · Schizophrenie · Psychiatrische Versorgung

KW - Compulsory treatment · Forced medication · Human rights · UN Convention on the Rights of Persons with Disabilities · Schizophrenia · Psychiatric care

U2 - 10.1159/000357649

DO - 10.1159/000357649

M3 - SCORING: Zeitschriftenaufsatz

VL - 24

SP - 22

EP - 32

JO - VERHALTENSTHERAPIE

JF - VERHALTENSTHERAPIE

SN - 1016-6262

ER -