Qualität der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Multimorbidität

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Abstract

Multimorbidität, das gleichzeitige Vorliegen mehrerer chronischer Erkrankungen, ist eine der größten Herausforderungen für Gesundheitssysteme weltweit. Zu den Hauptproblemen für die Leistungserbringer gehören die Fragmentierung und der Mangel an belastbarer Evidenz, was die Versorgung von Menschen mit Multimorbidität anfällig für Qualitätsdefizite macht. Die mit der Behandlung verbundene Belastung ist ein entscheidender Aspekt der Versorgungsqualität, da überforderte Patienten mit größerer Wahrscheinlichkeit negative Behandlungserfahrungen machen und eine geringere Therapieadhärenz aufweisen. Die Anwendung krankheitsspezifischer Leitlinien und Qualitätsindikatoren kann sich nachteilig auf die Versorgungsqualität bei Multimorbidität auswirken. Um den Ist-Zustand der Versorgung beurteilen zu können, werden standardisierte Instrumente benötigt, die bisher für Deutschland nicht zur Verfügung stehen. Die vorliegende Arbeit umfasst drei Teilstudien, die einen Einblick in die Versorgungsqualität multimorbider Patienten und deren Versorgungserfahrungen geben sollen. Im Rahmen eines Mixed-Methods-Ansatzes wurden folgende Zielstellungen verfolgt: (1) Entwicklung von Qualitätsindikatoren und eines Rahmenmodells zur Versorgungsqualität bei Multimorbidität, (2) Untersuchung der Patientenperspektive auf die Versorgungsqualität mittels Fokusgruppen und (3) Adaption und Validierung einer deutschen Version des Multimorbidity Treatment Burden Questionnaire (MTBQ).
Die Entwicklung der Qualitätsindikatoren erfolgte auf Basis einer systematischen Literaturrecherche zu Leitlinien und Qualitätsmaßen, bei der 81 Empfehlungen und sechs relevante Maße identifiziert wurden. Die Ergebnisse der Fokusgruppen bestätigten den Großteil der in der Literatur gefundenen Qualitätsaspekte und brachten vier zusätzliche Aspekte hervor. Anhand der Ergebnisse wurden neue Qualitätsindikatoren abgeleitet, die anschließend von einem unabhängigen, multidisziplinären Expertenpanel bewertet wurden. In einem zweistufigen nominalen Gruppenprozess konsentierte das Panel ein Set von 25 Indikatoren. Darauf aufbauend wurde ein konzeptioneller Rahmen entwickelt, der die Elemente der Versorgungsqualität bei Multimorbidität strukturiert und visualisiert. Ein weiteres zentrales Produkt ist die deutsche Version des MTBQ, eines Kurzfragebogens zur Erfassung der Belastung durch die Behandlung multimorbider Patienten. Bei der Übersetzung wurde auf eine etablierte Methodik zurückgegriffen und geringfügige Änderungen vorgenommen, um die kulturübergreifende Validität zu gewährleisten. Die Ergebnisse weisen auf eine hohe Augenscheinvalidität, eine akzeptable Reliabilität, eine einfaktorielle Struktur und eine gute Konstruktvalidität hin.
Mit den vorgestellten Ergebnissen liegen erstmals standardisierte Messinstrumente zur Beurteilung der Versorgungsqualität bei Multimorbidität im deutschen Gesundheitswesen vor. Die Einbeziehung der Patientenperspektive in den gesamten Forschungsprozess spiegelt deren Relevanz für die Definition von
Versorgungsqualität wider. Bevor die Indikatoren jedoch zur Evaluation der Regelversorgung eingesetzt werden können, ist eine empirische Validierung erforderlich. Der MTBQ könnte in zukünftigen klinischen Studien als Endpunkt verwendet werden, und seine Wirksamkeit als Instrument in der klinischen Praxis sollte untersucht werden. Die neu entwickelten Messinstrumente stellen eine vielversprechende Alternative zur bisherigen krankheitsbezogenen Qualitätsmessung dar, die der Komplexität von Multimorbidität nicht hinreichend gerecht wird.

Bibliografische Daten

OriginalspracheEnglisch
StatusVeröffentlicht - 08.06.2023