Das Schleudertrauma der Halswirbelsäule—über die Rolle degenerative Vorerkrankungen

  • Norbert Meenen
  • A Katzer
  • S W Dihlmann
  • S Held
  • I Fyfe
  • K H Jungbluth

Abstract

Radiologische Untersuchungen tragen nicht nennenswert zur Differenzierung der Beschwerden von Patienten mit einem Schleudertrauma der Halswirbelsäule bei. Dennoch werden durch die radiologisch gestützte Begutachtungspraxis prolongierte Verläufe nach Distorsionen der Halswirbelsäule oft degenerativen Vorerkrankungen angelastet. In dieser Studie wurden 60 Patienten der Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf mit Schleudertrauma der Halswirbelsäule je nach vorbestehenden, radiologisch nachweisbaren, degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule in zwei Gruppen (n=30) eingeteilt und durchschnittlich 5,7 Jahre nach dem Unfall sowohl klinisch als auch radiologisch nachuntersucht. Die Patienten mit Vorveränderungen der Halswirbelsäule waren im Mittel 11,2 Jahre älter als die Wirbelsäulengesunden und zeigten eine vermehrte Akutsymptomatik an der unteren Halswirbelsäule (zervikobrachiales Syndrom). Die Chronifizierung einzelner Symptome, wie Nackenschmerzen, Schwindel, Übelkeit und psychische Verstimmung, war in beiden Gruppen zu beobachten. Sehstörungen sowie Mißempfindungen und Schmerzen im Schulter-Arm-Bereich traten unabhängig von Vorschäden zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung vermehrt auf, Hinterkopfschmerzen zeigten bei radiologisch intakter Halswirbelsäule eine bessere Rückbildungstendenz. Lediglich für den Tinnitus wurde eine signifikante, späte Häufung bei Patienten mit vorbestehenden Degenerationen der Halswirbelsäule verzeichnet. Vorveränderungen einzelner Bewegungssegmente bestimmten aber nicht den klinischen Verlauf von Schleuderverletzungen der Halswirbelsäule, sondern stellen lediglich einen Bereich erhöhter Vulnerabilität gegenüber dem Trauma dar. Umgekehrt ist eine induktive oder richtunggebende Beeinflussung degenerativer Halswirbelsäulenerkrankungen durch einen Unfall nicht zu beweisen oder zumindest nicht gegen den schicksalhaften, klinischen und radiologischen Verlauf degenerativer Veränderungen abzugrenzen. Unter Berücksichtigung der Empfindlichkeit mitbetroffener, neurogener Strukturen dürfen Schleuderverletzungen der Halswirbelsäule nicht punktuell organdiagnostisch betrachtet und die oft jahrelang anhaltenden Beschwerden der Patienten nicht mit Simulation und finanzieller Begehrlichkeit erklärt werden. Eine Auswertung von Funktionsaufnahmen nach Arlen erbrachten keine weiterführenden Erkenntnisse.

Bibliografische Daten

Titel in ÜbersetzungWhiplash-injury and the role of pre-existing degenerative changes
OriginalspracheDeutsch
Aufsatznummer3
ISSN0340-2649
DOIs
StatusVeröffentlicht - 1994
pubmed 8091542