Victim Blaming bei nicht-kossensueller Weitergabe intimer Bilder:; Ergebnisse einer Befragung von Schüler*innen und Lehrer*innen

Abstract

Einleitung: Der Begriff Victim Blaming bezeichnet die Situation, wenn Betroffene von Gewalt selbst für ihre Viktimisierung verantwortlich gemacht werden, indem ihnen auf Grundlage persönlicher oder kontextbezogener Merkmale unterstellt wird, einen Anreiz zur Gewalt geboten zu haben. Insbesondere im Bereich sexueller Gewalt ist Victim Blaming verbreitet und geschlechtlich konnotiert. Spezifische Muster des Victim Blamings werden nachfolgend mit Fokus auf sexuelle Grenzverletzungen mittels digitaler Medien unter jugendlichen Schüler*innen exploriert.

Forschungsziele: Ziel der Studie ist die Analyse der Orientierungen von Schüler*innen und Lehrkräften auf die nicht-konsensuelle Weitergabe intimer Bilder, um Prozesse des Victim Blamings unter geschlechterreflektierender Perspektive zu differenzieren.

Methoden: Grundlage der nachfolgenden Analysen bilden zwölf Gruppendiskussionen im Sinne von natürlichen Gruppen mit 46 Schüler*innen und zehn Gruppendiskussionen mit 34 Lehrer*innen von weiterführenden Schulen in Norddeutschland, die mit dokumentarischer Methode nach Bohnsack ([Bohnsack et al. 2007]) ausgewertet wurden. Das Sampling erfolgte entsprechend nach vorab festgelegten Kriterien und wurde nach dem Prinzip der Sättigung beendet.

Ergebnisse: In den auf den Gruppendiskussionen basierenden Fallbeschreibungen lassen sich drei Orientierungsmuster unterscheiden: implizites, nicht-reflektiertes und explizites Victim Blaming. Gemeinsam ist den Mustern, dass sie die Verantwortung für Grenzverletzungen mittels digitaler Medien ausschließlich individualisierend bei betroffenen Mädchen verorten, welche als charakterschwach, abhängig von Fremdanerkennung sowie unbedacht geschildert werden. Weder diejenigen, die die Bilder nicht-konsensuell weiterleiten, noch die Bystander spielen in den Orientierungen der Befragten eine Rolle. Dies gilt für Schüler*innen wie Lehrer*innen gleichermaßen. Handlungsoptionen werden entsprechend vor allem in abstinentem Verhalten gesehen, wodurch eine restriktive Sexualmoral vertreten wird, die Betroffene von sexuellen Grenzverletzungen (mit-)verantwortlich für ihre Erfahrungen macht.

Schlussfolgerung: Der Beitrag zeigt die weit geteilten Verantwortungszuschreibungen von schulischen Akteur*innen zuungunsten von Mädchen. Pädagogische Abstinenzbotschaften untergraben einen selbstbestimmten Umgang mit intimen Bildern, indem sie Mädchen adressieren und somit Lehrkräfte implizit darin bestärken, keine pädagogische Verantwortung für Betroffene von sexueller Gewalt zu übernehmen.

Bibliografische Daten

OriginalspracheDeutsch
ISSN0932-8114
DOIs
StatusVeröffentlicht - 03.2023